Zehntscheune

Ich will mich nicht jedes Mal verkleiden, wenn ich gut essen und trinken möchte, sondern bin eher der T-Shirt-Typ. Ich möchte trotzdem nicht nur zur Pommesbude gehen, sondern in nettem, gemütlichem Wohlfühl-Ambiente sitzen. Ich möchte mich wie ein Stammgast geborgen und gut betreut fühlen, möchte immer von gut gelauntem, aufmerksamem, aber unaufdringlichem Servicepersonal bedient werden, möchte erstklassige Speisen und Getränke genießen, und das zu einem fairen Preis, am liebsten alles unter 20 € pro Hauptgang. Ich möchte der Situation und der Stimmung angepasste Musik im Hintergrund hören, möglichst ohne die Hits, die mir die Popsender den ganzen Arbeitstag lang um die Ohren hauen. Lieber eine gepflegte Mischung aus Soul, Funk, Jazz und Chill-out – und bitte nicht jeden Abend dasselbe! Geht nicht? Geht doch! In der Zehntscheune in Kronberg.
Der geschäftsführende Kopf dahinter heißt Moe Ennaji, seine Brötchengeber sind Julia und Gregor von Opel. Julia von Opel hatte die wundervolle Idee, aus der alten Zehntscheune mit Hilfe eines fantasiebegabten Innenarchitekten einen Klasseladen zu machen, ganz in Grün, und die nebenan liegende „Olio- und Vinothek“ gleich mit zu übernehmen. Die Synergien liegen auf der Hand. Dort, wo erstklassiger Käse, Wurst und Weine an die verwöhnte Kundschaft verkauft werden, kann sich der Gastronom gleich mit versorgen – wenn er denn den Koch hat, der die Weiterverarbeitung perfekt beherrscht. Und den hat Moe gefunden: Jean-Marc Becker ist Franzose, hat in ersten Häusern gearbeitet und bruzzelt jetzt in der Zehntscheune, weil er und Moe sich super aufeinander einstellen. Jeden Tag ab 10 gibt‘s ein kleines Frühstück, mittags die Businesskarte für eilige Geschäftsleute, kleine Gerichte schon ab 5 €, nachmittags Kaffee und Kuchen und abends Klassiker wie Wiener Schnitzel oder Euro-Asiatisches. Die Abendkarte wechselt alle drei Wochen, Langeweile kommt also auch beim Stammgast nie auf, dazu gibt‘s noch jeden Tag extra frische Spezialgerichte. Zwei Beispiele: In Bananenblatt gedünstetes Tilapiafilet mit Ingwer, Zitronengras, Gemüse und Reis für 11,50 €. Der Salzwasserfisch aus dem Indischen Ozean bleibt wunderbar zart im Bananenblatt, das die Temperatur noch auf dem Teller hält, und die Ingwer-Zitronengras-Mischung bringt den ganz eigenen Jenseits-des-Alltags-Geschmack. Oder, noch mal Fisch: Tintenfischtortelloni mit Lachsfüllung in Schnittlauchbutter mit Shrimps: eine Offenbarung, die sepiageschwärzten Nudeln mit dem wundervoll frischen Inhalt. Und Geflügel wird auch nicht nur so hingehauen: Hähnchenbruststreifen in würziger Tortillapanade mit Kräuter-Limetten-Joghurt-Dip an Salatvariation für 9,50 €. Klingt nicht nur so, ist es auch: ein Gedicht! Nachspeise gefällig? Vielleicht Kaiserschmarrn, der mal nicht trocken und pampig ist? Oder Joghurtcreme mit roten Früchten und braunem Zucker für 4,80 €? Alles nie alltäglich, immer mit dem besonderen Dreh. Was trinkt man? Ein gepflegtes Becks' vom Fass oder von der Zehntscheunen-Sommeliere empfohlene Weine. Einen herrlich frischen 2005er Grünen Veltliner „Rosenberg“, einen 2004er Wittmann Rosé Trocken oder doch einen der Rotwein-Klassiker, alle übrigens bei Gefallen in der Olio- und Vinothek gleich nebenan für zu Haus zu erwerben. Und der Nana-Tee mit frischen Pfefferminzblättern nach dem Vorbild von Moes marokkanischen Gastro-Kollegen ist ein Muss! Legendär das Frühstück am Wochenende bis 14 Uhr. Aber: Unbedingt reservieren! Mein Wunsch: Möge uns dieses wundervolle Beispiel freundlicher Dienstleistung zu fairen Preisen noch lange erhalten bleiben. Vielleicht fahre ich aus Dankbarkeit doch irgendwann mal einen Opel ...